Aufwärts, weiter, immer weiter. Wachstum, Zunahme, Anstieg. Wer Bilanzen und die Presseveröffentlichungen zu Firmenentwicklungen liest, der könnte meinen, es gebe nur eine Konstante in den Unternehmen: Die Umsatzzahlen werden immer größer, es geht nur nach oben. So auch neulich bei einer Pressekonferenz eines Baumarktbetreibers. Ganz nebenbei sagte ein Geschäftsführer, mit einer leicht abwertenden Geste in Richtung Wettbewerber: „Für uns gibt es nur eine Richtung – und die geht nach oben.“ Ich gestehe, dass ich zusammengezuckt bin. War da nicht eine ordentliche Portion Hybris, Überheblichkeit, dabei? Und wenn es einmal nicht nach oben geht, was passiert dann? Tritt der Mann zurück? Zählt nur die Quantität und ist die Qualität einer Entwicklung zweitrangig? Tomáš Sedlácˇek hat ein Buch geschrieben, das sich genau mit solchen Fragen beschäftigt: „Die Ökonomie von Gut und Böse“. Der frühere Václav Havel-Berater, heutige Dozent und Chefvolkswirt einer Bank hinterfragt kritisch die Meinung vieler Unternehmer, Manager, Politiker und Bürger, dass die Basis aller zwischenmenschlichen Aktion die Ökonomie sei: Wirtschaft, Wirtschaft über alles, sozusagen. Letztlich, so stellt er fest, geben damit auch liberale Wirtschaftswissenschaftler Marx Recht, dass die Ökonomie alles bestimme (ökonomische Basis und geistiger Überbau und so, Sie erinnern sich?). Die Gier, so Sedlácˇek, sei zweifelsohne ein wichtiger Antrieb des Menschen, um ökonomisch zu handeln. Da die Gier aber kein Maß kenne, führe sie, wenn sie nicht kontrolliert werde, irgendwann auch zwangsläufig zum Scheitern. Der Glaube, dass der freie Markt aus sich heraus etwas Positives schaffe, sei ein Irrglaube, denn ihm fehle die Ethik. Der Mensch sei aber auch ein kommunitaristisches (= an der Gemeinschaft interessiertes) Wesen, dem bewusst sei, dass sein Erfolg nur Bestand habe, wenn es Anderen auch gut gehe. Deshalb seien Unternehmen und Volkswirtschaften auf lange Sicht nur erfolgreich, wenn ihnen die Spannung von Fortschritt und Zufriedenheit bewusst sei. „Eine Gesellschaft, die auf Egoismus ohne Moral setzt, versinkt in Anarchie“, fasst Sedlácˇek seine Erfahrungen sowohl mit den staatstotalitären Systemen Osteuropas als auch mit den neoliberalen Strömungen im Westen in einem Interview zusammen. Wer nur nach oben will, fällt irgendwann tief. Das Maß ist der Vater aller Dinge. Und dazu gehört auch beizeiten das bewusste Maßhalten. Triumphieren am Ende vielleicht doch noch die Griechen? Die Stoiker predigten die Beschränkung. Vielleicht sollte ich mir im Baumarkt schon mal eine Tonne kaufen. Dr. Joachim Bengelsdorf Download: Egoismus braucht Moral (PDF-Datei)