Die Disziplin Retail Media zählt zu den Highflyern im Werbemarkt. Grund dafür ist die schwindende Datenbasis für Digitalwerbung und die Tatsache, dass die Infrastruktur für Retail Media inzwischen schlüsselfertig zu haben ist. Doch so einfach der Einstieg auch sein mag, so komplex kann es werden.
Knapp 3 Mrd. Euro Umsatz erzielte die Amazon Germany Online GmbH 2023 mit Werbung, das ist bekannt. Weit weniger bekannt in Deutschland ist das Walmart-Modell. Knapp 4 Mrd. USD verdient der weltgrößte Einzelhändler inzwischen schon mit Werbung. Das ist nur ein Bruchteil des Gesamtumsatzes, aber der Werbeumsatz ist im zweiten Quartal 2024 erstmals schneller gewachsen als der von Amazon. Retail Media ist der Trend der Stunde. Werbeflächen in Läden, in den Schaufenstern oder zumindest in der Nähe des POS ziehen immer stärker die Aufmerksamkeit der Werbetreibenden auf sich.
Das Thema ist nicht neu, aber es haben sich einige Parameter verändert, die es in neuem Licht erscheinen lassen: Die Digitalisierung der Werbeflächen macht das Handling wesentlich einfacher. Die digitale Werbeinfrastruktur sorgt außerdem dafür, dass Bildschirme am POS genauso gebucht werden können wie Banner auf Websites. Ein dritter Punkt macht den Unterschied: Die Händler haben verstanden, dass die Qualität des Kundenkontaktes mehr Wert ist, als nur Produkte zu verkaufen. Der Handel hat also begonnen, den Datenschatz, auf dem er sitzt, zu monetarisieren. Gleichzeitig verlieren die Werbungtreibenden in den bestehenden Kanälen immer mehr Daten.
Der Einstieg in die neue Disziplin ist denkbar einfach: Man hängt ein paar Bildschirme auf – tunlichst an Stellen, wo die Menschen warten, also etwa bei der Leergutannahme im Supermarkt oder in der Kassenzone – und spielt dort die Werbung seiner Lieferanten aus. Das wird insbesondere dann spannend, wenn Kunden die Kaufentscheidung erst am POS konkretisieren. 70 Prozent aller, die Bier kaufen, und die Hälfte der Kunden für Heimtiernahrung entscheiden sich erst im Laden für die Marke. Die Zahlen hat die Düsseldorfer Retail-Media-Agentur Marketing of Moments erhoben. Folglich leuchtet ein, dass 38 Prozent aller Kunden von Kölle Zoo sich an eine Kampagne für Katzenfutter im Eingang erinnerten. Die Bitburger Brauereien haben nachgemessen, wie sich Retail Media auf die Kaufbereitschaft auswirkt. Um 27 Prozentpunkte habe sich die Kaufabsicht gesteigert, so die Marktforschung. Die Kunden sind im Laden also empfänglich für Werbung, das freut die Hersteller. Gleichzeitig verdient der Händler dazu, ohne Verkaufsumsatz zu verlieren.
Ob die zusätzliche Vergütung für die zusätzliche Präsenz am POS in Form von Einkaufsrabatten gewährt oder direkt bezahlt wird, spielt in der Bilanz keine große Rolle. Es spielt aber zum Beispiel eine Rolle bei der Frage, wer der richtige Ansprechpartner auf beiden Seiten ist. Den guten alten Werkostenzuschuss, den WKZ, dem dieses Konzept sehr ähnlich ist, verantworten Verkauf auf Marken-Seite und Einkauf auf Handelsseite, das Media-Budget verwaltet aus Sicht der Marken oft die Agentur. Im Handel müssen dafür erst Verkaufsstrukturen aufgebaut werden. WKZ ist gelernt, Retail Media muss erst gelernt werden.
Große Einzelhandelstreibende, die in dieser Disziplin in Deutschland führend sind, wie etwa Obi, Mediamarkt-Saturn oder die Schwarz-Gruppe, gründen dafür eigene Gesellschaften. Um sauber arbeiten zu können, trennen sie WKZ und Media voneinander. Diese Trennung ist weitgehend willkürlich und sie wird von vielen Händlern unterschiedlich gehandhabt. Es gibt auch Stimmen im Markt, die diese Unterscheidung gänzlich aufgehoben haben wollen.
Wichtiger für die Disziplin ist eine andere Unterscheidung, nämlich die zwischen den sogenannten endemischen Kunden und solchen Werbetreibenden, deren Produkte nicht vom jeweiligen Händler verkauft werden: die non-endemischen Kunden.
Endemische Kunden, also Kunden, deren Waren auch beim Händler verkauft werden, haben es leicht, mit den Daten des Handels zu arbeiten. Händler können zum Beispiel mithilfe ihrer Loyalty-Card Kassendaten sammeln und somit messen, ob eine Kampagne funktioniert hat. Diese Daten sind für Agenturen enorm wichtig, da sie für die Optimierung des Mediaplans notwendig sind. Diese Daten machen es Werbetreibenden auch ziemlich einfach, Retail Media auszuprobieren.
Diese Wirkungsmessung steht non-endemischen Kunden nicht zur Verfügung. Mit einer Ausnahme: Wenn es sich um einen Onlinehändler handelt, dann kann jeder Bildschirm zum POS werden. Einer der größten deutschen Online Retailer hat Werbung auf Displays in der Nähe von Supermarkteingängen geschaltet und war von der Performance beeindruckt. Auch wenn sich die vorbeilaufenden Kunden offensichtlich im „Kauftunnel“ befinden, lassen sie sich von gutgemachter Werbung zumindest kurzfristig auf andere Gedanken bringen. Und der Onlinehändler kann das direkt messen.
Wer die harten Leistungsindikatoren nicht zur Verfügung hat oder wer eine Kampagne schaltet, die auf Markenwahrnehmung zielt, dem bleibt nichts anderes übrig, als mit klassischer Marktforschung nachzumessen, ob es sich lohnt. Und dabei gilt es zu berücksichtigen, dass – Stand heute – Retail Media-Platzierungen oft teurer sind als „normale“ Außenwerbung. Diese Mehrkosten muss die Kampagne einspielen.