Den stärksten Zuwachs ihrer 26-jährigen Historie verzeichnet die EuroCIS, nach eigenen Angaben die europaweit führende Fachmesse für Retail Technology, mit 475 Ausstellern aus 41 Ländern. Über 13.500 Fachbesucherinnen und -besucher aus 95 Ländern kamen auf das Messegelände in Düsseldorf, um die neuesten Innovationen und Technologietrends im Handel zu entdecken und sorgten für hohen Andrang in den beiden ausgebuchten Hallen.
Die 15. Ausgabe der EuroCIS übertraf laut Erhard Wienkamp, Geschäftsführer der Messe Düsseldorf, sowohl hinsichtlich der Nettofläche von 14.400m² als auch bei den Besucherzahlen die Vorveranstaltung 2019 deutlich. Und: „Fast die Hälfte der Besucher kommt mit Investitionsvorhaben auf die Messe.“
AI und Machine Learning, Mobile Payment und smarte Checkout-Technologien sind die Trendthemen, dazu rückt die Cybersicherheit in den Fokus, war jetzt sogar erstmals Thema auf der Messe. Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institute: „Das dominierende Thema auf der EuroCIS sind definitiv KI-Anwendungen für unterschiedlichste Bereiche. Effizienzsteigerung sowie Kundenorientierung stehen bei vielen Lösungen im Zentrum.“ Das zeige zum Beispiel die Vielzahl an Angeboten für die Beschleunigung des Checkouts, also der Kassenzone, nicht zuletzt dank vielfältiger Smart Shopping- und Payment-Lösungen. „Grundlage für all dies sind eine Automatisierung von Prozessen sowie eine performante IT-Infrastruktur und Cloud-Technologien“.
Autonome Stores
Großen Anklang fanden teil- und komplett autonome Stores, automatische Objekterkennung an Kassen und Waagen, Service-Roboter, energiesparende ESL (Electronic Shelf Labels), smarte Einkaufswagen, interaktive Kioske und Schaufenster oder Retail-Media-Systeme sowie vielseitige Payment-Lösungen.
Pentlant Firth führte den Easy Shopper vor, der schon bei Edeka Hannover-Minden im Einsatz ist. „Der intelligente Einkaufswagen liefert Angebote beim Betreten des Stores und vereinfacht das Shopping durch eine Indoor-Navigation, die einfache Nutzung von Einkaufslisten und einen kassenlosen Checkout“, erklärte Joszef Gabor, Vice President Sales. Das System sei seit 2019 nutzererprobt, es gebe 6.700 Einkaufswagen in über 175 Märkten, 635 Mio. Euro Umsatz im vergangenen Jahr sowie über 25 Mio. abgeschlossene Einkäufe.
„Was ist an Easy Shopper innovativ?“ fragte Jozsef Gabor und zeigte es sogleich: Der Login per QR-Code, Produkt können gescannt oder über die Suche hinzugefügt werden, die integrierte AI gleicht den Warenkorb mit zwei Kameras und Waage mit Bildanalyse und Objekterkennung ab („Red Bull erkannt, aber nicht gescannt. Bitte prüfen!“) und bietet so Schutz vor und Reduzierung von Diebstahl – es ist sogar eine Garantie zur Diebstahlsreduzierungsquote vereinbar.
Ständig umlagert
„Ein wahrer Publikumsmagnet waren die Self-Service-Lösungen, die mit Hilfe von KI, Computer Vision und Edge Computing den Kunden einen schnellen, komfortablen Checkout ermöglichen“, berichtete auch Steve Howell, General Manager DACH bei Toshiba Global Commerce Solutions: An dem ständig umlagerten Stand zeigte etwa Manuel Montserrate das Self-Scanning-System „Vision Kiosk“, welches das Scannen von Barcodes überflüssig macht. „Die Artikel, die der Kunde auf die Ablagefläche legt, werden automatisch erkannt und geprüft.“ Außerdem könne er schnell und einfach mit kontaktloser biometrischer Authentifizierung bezahlen. Diese Technologien hülfen Einzelhändlern beim Fachkräftemangel, ihren Warenschwund zu minimieren.
Die KI-Retail-Assistentin Kira entlaste das Personal auf der Fläche, betonte Christian Brand, Marketingleiter bei Bütema. Als webbasierte Anwendung können Kunden den virtuellen Assistenten durch das Scannen eines QR-Codes auf ihrem Smartphone starten. Mit dem persönlichen Chatbot haben Kunden Zugriff auf Informationen zu Artikeln wie Größen, Farben, Verfügbarkeiten und Produkt-Auffindbarkeiten im Geschäft. „Kira gewährleistet Seamless Shopping durch die Anbindung an Warenwirtschaft und Onlineshopping, bereitet Fast Lane Shopping durch Queue Busting vor und eröffnet Monetarisierungsmöglichkeiten durch den Weiterverkauf von Werbeflächen an Dritte“, so Christian Brand.
Als einer der führenden Full-Service-Anbieter für Digital Signage und mobile ERP-Hardware und -Software biete Bütema mit der Verknüpfung aller digitalen Berührungspunkte durch eigene Entwickler einen Rundumservice für seine Retailpartner in der DIY- und anderen Branchen. Beim Trendthema Retail Media können Kunden durch die Integration von Framen Werbeflächen im Store – wie auf der Kira-App oder auch den Digital Signage-Displays – an ausgewählte, passende branchennahe Dritte zu verkaufen.
Neue POS-Systeme
Imke Hahn und Çetin Acar aus dem Forschungsbereich IT gaben beim EHI Retail Institute einen Überblick zur aktuellen Kassenlandschaft im deutschsprachigen Einzelhandel. Die Zahl der konventionellen Kassen sinkt, der Checkout wird vielfältiger, so das Fazit der vorgestellten Studie zu POS-Systemen. „Disruptive Konzepte und Technologien wie Cloud, Self- Checkout und KI verändern die Art und Weise, wie wir handeln und einkaufen – das erfordert Investitionen in neue POS-Systeme“, erklärte Çetin Acar. Kontaktlos-Zahlungen per Karte und NFC seien das „New Normal“, der Anteil an Zahlungen per Smartphone habe sich binnen eines Jahres fast verdoppelt.
Eine Kasse müsse vielen Anforderungen der Händler genügen, führte Imke Hahn aus: schnell und gegebenenfalls mobil, leicht zu bedienen und Omnichannel-fähig. Drei Themen seien den IT-Verantwortlichen besonders wichtig. So solle die Kasse möglichst mobil werden, damit das Anstehen in der Warteschlange vermieden werden kann (59 Prozent). Gut die Hälfte (53 Prozent) halten Self-Checkout- und Self-Scanning-Systeme für wichtig, weil auch das Wartezeiten verkürzen und dem Personalmangel entgegenwirken kann. „41 Prozent sehen Handlungsbedarf in Bezug auf schnellere Kartenzahlungen. Hier scheint es noch deutliche Potenziale zu geben.“
33 Prozent der Befragten sehen im Bereich KI Handlungsbedarf, um den Checkout-Prozess zu optimieren. Beispiele sind KI-gestützte Produkterkennung, Warteschlangenmanagement, personalisierte Angebote oder die Vermeidung von Inventurdifferenzen. Immer mehr Handelsunternehmen können sich Cloud-basierte Kassen in ihren Filialen vorstellen.
In fast einer halben Million Betriebe des Handels sind fast eine Million Kassen (931.000) im Einsatz, ein deutlicher Rückgang im Vergleich zu 2022 (525.900 Betriebe mit 976.900 Kassen). Rund 5,5 Jahre ist eine Kasse durchschnittlich im Einsatz, die Software wird mit 6,4 Jahren etwas länger genutzt. Zurzeit planen 80 Prozent der Befragten eine Veränderung der Kassenhardware in den kommenden zwei Jahren und fast ein Viertel will die Kassen komplett austauschen. Fast die Hälfte der befragten Handelsunternehmen plant daher einen Wechsel der Kassensoftware.
Im Rahmen der EuroCIS hat außerdem zum 17. Mal die „reta awards“ für die besten Technologielösungen im Handel vergeben. Unter den Siegern kamen aus dem DIY-Bereich Würth mit seinem Sprach- und Chatassistenten Pico, der wichtige Vertriebsprozesse beschleunigt, sowie Leroy Merlin: Die französische Baumarktkette hat hochmoderne, elektronische Etiketten von Hanshow installiert und ein System, das mit Funktionen wie aktuellen Preisinformationen, die mit der E-Commerce-Website verknüpft sind, sowie Kundenbewertungen für eine bessere Einkaufsunterstützung die Lücke zwischen der digitalen und der physischen Welt schließt, um der Kundschaft die Navigation und Produktsuche zu erleichtern.
Gerätehersteller wie Ingenico, Verifone und CCV verzeichnen eine steigende Nachfrage nach mobilen Terminals auf Android-Basis. „Android ist eindeutig das wichtigste Betriebssystem geworden“, sagte Christine Bauer, Vide President International Sales bei CCV Deutschland. Pluspunkt: Android-Terminals könnten mit passenden Apps um neue Business-Funktionen ergänzt werden.
Viel effizienter
Das Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS zeigte, wie Unternehmen jeglicher Größe im Handel generative KI nutzen können. Das Institut hat zwei Lösungen auf Basis von Large Language Models speziell für Groß- und Einzelhandel entwickelt. Abteilungsleiter Dr. Tim Wirtz berichtete, wie „LLM Insight Expert“ Interaktion bei komplexen Datenanalysen in natürlicher Sprache ermögliche: „Wie viel Stück sind von jedem Produkt auf Lager? Liefere mir die zehn häufigsten Artikel“, sei ein Beispiel.
„Mercurius AI“ erlaube das Personalisieren von Medieninhalten in Sekunden und schaffe so ein personalisiertes Kundenerlebnis durch Produktseiten, zielgruppenspezifische Social-Media-Posts oder Newsletter, so Tim Wirtz.
Das Startup Nimmsta zeigte „mehr als nur einen Handrückenscanner“. Das Unternehmen, dessen Geräte schon bei namhaften Kunden in der Logistik im Einsatz sind, ermöglicht Picking mit einer Industrial Smart Watch mit integriertem Scanner, die auf der Hand getragen wird. Greifen und Scannen von Artikeln beim Kommissionieren erfolge in einer Handbewegung. „Die optimierten Picking Workflows werden auf der Smart Watch dargestellt. Durch die Interaktion zwischen Mitarbeitenden und Warehouse Management Systemen laufen die Picking-Prozesse sehr viel effizienter ab und Fehler werden vermieden“, verdeutlichte CMO Teresa Wimmer.
Nimmsta hebe sich durch sein intelligentes Touch-Display ab und revolutioniere die Kommunikation in der Intralogistik. Durch die intuitive Benutzeroberfläche können Logistiker mühelos durch Menüs navigieren, Bestandskorrekturen eingeben und Informationen abrufen. „Dies unterscheidet Nimmsta wirklich von herkömmlichen Handrückenscannern.“ Das Touch-Display diene nicht nur der Dateneingabe, sondern ermögliche auch den Austausch von Echtzeitinformationen zwischen den Logistikern und dem System.
ESL ohne Batterien
Andere Gründer im Startup-Hub der EuroCIS zeigten ebenfalls interessante Ideen, um den Handel technologisch nicht nur effizienter, sondern auch kundenorientierter zu gestalten. Tare Tag zeigt Handels- oder Gastronomiebetrieben, wie sie auf einfache Weise ihre Ware in Mehrwegbehältern verkaufen und online verwalten können. „Jedes Behältnis kann mittels eines QR-Codes zur Verpackung für jedes Produkt in jeder Menge werden“, machte Gründer und CEO Michael Albert klar. Es bietet Einzelhändlern, Gastronomen und Abfüllern eine Möglichkeit, ihre Waren in Mehrwegbehältern zu verkaufen und online zu verwalten.
Shopopop stellte seine Crowdshipping-Lieferlösung vor, die Logistik der letzten Meile für Einzelhändler lösen soll, die sich für eine nachhaltige
Lieferungsvariante entscheiden wollen. Eine Community von Privatpersonen nutzt dabei eine App, um auf ihren regelmäßigen Fahrten Produkte an Endkunden auszuliefern und damit Geld zu verdienen. Die Verbraucher erhalten ihre Bestellung an eine Adresse ihrer Wahl im gewünschten Zeitfenster. Durch die Lieferung auf bereits bestehenden Strecken werden so CO2-Emissionen gespart.
Mit dem ShelfiePro von DeDuCo International wurde ein Roboter gezeigt, der mit den Kunden interagieren und sie beispielsweise zu einem gesuchten Produkt führen kann. Außerdem kann der mechanische Kollege beraten, per Digital Signage Werbung auf seinem Display ausspielen und die Warenbestände in den Regalen überwachen, blickte Inhaber Tom Dujardin in die Zukunft – die eigentlich schon da ist
Die neuste Generation von digitalen Preisschildern präsentierte Philip Ernst bei Instore Solutions. Darunter sind Modelle, die ohne Batterie und Chips betrieben werden. „Der Aufwand für Kauf, Austausch und die Entsorgung von Batterien in großer Anzahl kann so vermieden werden.“
Besonders schlanke ESL-Serien gab es bei Hanshow. Mit Polaris Pro erweitert der Hersteller sein Portfolio um digitalle Etiketten, die wenig Energie verbrauchen und nach einer Laufzeit von bis zu einem Jahrzehnt von den Mitarbeitern des Einzelhändlers selber ausgetauscht werden können. Wie bei vielen anderen zieht mittels E-Ink auch die Farbe auf dem ESL-Display ein. Der Inventurroboter SPatrol überwacht mittels KI-Technologie die Bestückung der Regale und sorgt so für eine Reduzierung von Regallücken und Out-of-Stock-Szenarien.
Digitale Angriffe
Mit MatrixSan Find kann mit einer AR-Oberfläche die Kommissionierung und manuelle Suche von Produkten verkürzt werden, so dass Mitarbeiter wie auch Kunden schneller ans Ziel gelangen. Sprecherin Jessica Grisolia erklärte: „Finden Sie schnell das richtige Produkt im Regal und machen Sie so gut wie nie Fehler bei der Kommissionierung. Durch das vereinfachte Picking verkürzen Sie die Einarbeitungszeit und steigern die Kundenzufriedenheit.“ Mitarbeiter könnten schnell Bestellungen vorbereiten oder Kunden Produkte von der Einkaufsliste im Regal finden. „Die AR-Benutzeroberfläche ist mit wenigen Zeilen Code einsatzbereit.“
100 Prozent aller Unternehmen würden digital angegriffen, machte Roland Zigerli auf das Problem Cybersicherheit aufmerksam. Der Business Development Manager von Fortinet erklärte, es sei nur die Frage wann, aber nicht, ob. Vor diesem Hintergrund und immer vielfältigeren Gefahren wie Spear Phishing und Deep Fakes, N-Day Vulnerabilities, Cyberphysischen Angriffen, APT Threat Actors, Ransomware und Wipers, Cloud-Risken, Supply-Chain-Attacken und Insider-Risken könne die Fortinet Security Platform mit KI-basierten Lösungen IT-Infrastrukturen absichern und die Zeit bis zur Entdeckung eines Angriffs oder Eindringlings im System von 21 Tagen bis auf unter eine Stunde drücken. Dann kann man noch schnell reagieren. Das im Jahr 2000 gegründete Fortinet hat nach eigenen Angaben über 705.000 Kunden weltweit.
Text: Oliver Mengedoht
Dies ist die Langversion des Beitrags aus der Printausgabe diy 5/2024