Die letzten zwei Jahre haben nahezu die gesamte Wirtschaft vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Die nationalen und internationalen Lieferketten und Beschaffungsnetzwerke sind und bleiben absehbar auch in Zukunft nicht mehr ausreichend belastbar. Bei Produktion, Beschaffung und Transport von Waren stehen die Hersteller und Importeure damit regelmäßig vor unvorhersehbaren Engpässen – diese „Ausnahme” ist mittlerweile die neue „Normalität”.
Mit dem Coronavirus und dem Krieg in Europa treffen welt- und geopolitische Extremereignisse auf bekannte und manifeste Marktprobleme: die Abhängigkeit von oligopolen Rohstoff-, Energie- und Seefrachtmärkten sowie ein steter Fachkräftemangel in der Speditions- und Logistikbranche. Die nun seit 2020 sichtbar werdende, extreme Preisentwicklung vom Rohstoff bis hin zum Endprodukt ist das von den Märkten monetär bewertete Ergebnis gestörter und nicht mehr planbarer Beschaffungsstrukturen. Die Maximierung der eigenen Lagerkapazitäten sowie die Ausnutzung sämtlicher vorgelagerter und auch nachgelagerter Bestände in der Lieferkette kann die notwendige Versorgungssicherheit mit DIY-Produkten begrenzt abpuffern. Unter den neuen Marktbedingungen wird aber auch bei maximaler Kapitalbindung in Beständen die gewünschte Lieferfähigkeit nicht umfassend sichergestellt werden können.
Auf den erheblichen Druck der Beschaffungs- und Lieferketten müssen alle Unternehmen der Lieferkette kontinuierlich reagieren und wo irgend möglich zeitnahe Anpassungsmaßnahmen einleiten. Der nicht mehr vorhersehbare Ausfall absatzrelevanter Ressourcen bei Produktion, Beschaffung und Transport führt letztlich dazu, dass Produkte vereinzelt nicht mehr oder vor allem dann nicht mehr ‚on time’ im Handel ankommen. Die Hersteller haben hierauf regelmäßig nur wenig bis keine Einwirkungsmöglichkeiten mehr.
Die oberste Maxime der Lieferkette ist und bleibt es, leere Regale im Einzelhandel zu vermeiden. Der Händler konnte bisher mit den von ihm bestellten Aufträgen planen und durfte im Rahmen der vereinbarten Lieferzeiten mit über 95 Prozent Gewissheit auf eine termingerechte Belieferung vertrauen. Der Hersteller antizipierte die auf ihn zulaufenden Aufträge seiner Handelspartner, sicherte automatisch die umfassende und termingerechte Erfüllung aller eingehenden Aufträge zu, und dies überwiegend zu fix vereinbarten Jahrespreisen. „Die hohe Liefertreue der Herstellerseite zeigt, wie professionell die komplexen nationalen und internationalen Beschaffungs- und Transportprozesse in den letzten Jahrzehnten auf die Bedürfnisse des DIY-Einzelhandels ausgerichtet worden sind. Dass diese Lieferqualität zudem kostenoptimiert auf das preissensitive DIY-Fachmarktkonzept ausgerichtet wurde, zeichnet nicht zuletzt den Erfolg unserer Bau-, Heimwerker- und Gartenmarktbranche aus“, so Uwe Schröder, Vorstandsvorsitzender des Herstellerverbandes.
Die „neue Normalität“ stellt aber neue Anforderungen an die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit von Handel und Industrie. Eine partnerschaftliche Lieferkette unter den neuen Marktbedingungen bedeutet nunmehr, dass gemeinsam Wege zu einer marktgerechten und kaufmännisch tragfähigen Anpassung des Preis- und Beschaffungsrisikos in der Lieferkette gefunden werden müssen. Dazu ist die gesamte Wertschöpfungskette aufgerufen, im fairen Umgang, mit Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein angepasste Lösungen zu finden, um gemeinschaftlich durch eine der schwersten Krisen der deutschen und europäischen Wirtschaft zu kommen.
Transparenz und Sicherheit schaffen gerade unter schwierigen Marktbedingungen und unter hohem Druck die Voraussetzung für eine sachgerechte Veränderung von Prozessen. Transparenz und Sicherheit bedeutet für Hersteller ein zeitnaher, verlässlicher Forecast über den Absatz seiner Produkte auf Handelsseite und frühzeitig planbare Auftragseingänge. Um die Allokation knapper Güter und die Versorgungssicherheit zeitnah besser aussteuern zu können, sind Anstrengungen beim Ausbau von Digitalisierung und Datenaustausch zwischen Handel und Industrie weiterhin notwendig. Gemeinsame digitale Prozesse bieten die Basis für eine besser getaktete, vertikale Bestandssteuerung von DIY-Produkten.
„Im Falle von erkennbaren Lieferengpässen oder -ausfällen haben die Lieferanten die Pflicht, dem Handelspartner frühzeitig und transparent die neue Liefersituation frühzeitig zu kommunizieren”, sagt Ulrich Köhler, Vorstandsvorsitzender des Herstellerverbandes. Unter den geänderten Marktbedingungen ist dabei die bisher übliche Zusicherung der Annahme und uneingeschränkten Ausführung aller eingehenden Bestellungen bei gleichzeitiger Pönalisierung von Unter- und Spätlieferung ein erheblicher Kostentreiber der Lieferkette. Lieferquotenregelungen können Anreize für Liefertreue bei planbaren Beschaffungsmärkten bieten. Unter den jetzigen und zukünftigen Rahmenbedingungen der Beschaffungs- und Logistiknetzwerke bedeuten sie aber nur direkte Kosten für den Lieferanten und damit auch Kosten für das Produkt.
Die Pönalisierung über Lieferquoten wird auch in Zukunft kein wirksames Instrument für die Steuerung des handelsseitigen Warenbezugs sein, solange die Beschaffungsprozesse für die Hersteller nicht hinreichend steuerbar sind. Die Verteilung knapper Waren sollte schließlich grundsätzlich auf die gleichmäßige Warenverfügbarkeit für den Endkunden abzielen. Gerade die „Bestrafung“ von Spätlieferungen verfehlt heutzutage grundsätzlich ihr ursprüngliches Ziel, da der Hersteller und Importeur in einer Vielzahl von Fällen unverschuldete und unvorhersehbare Lieferhemmnisse eben nicht zu verantworten hat. Das Instrument ‚Lieferquote’ ist unter den neuen Marktverhältnissen damit eher eine Art von Einkaufskondition, aber ohne die intendierte Anreiz- und Lenkungswirkung. Dafür belastet sie aber beide Vertragspartner mit erheblichem Aufwand bei ihrer Umsetzung und treibt zugleich die Kosten für die Lieferprodukte in die Höhe.
Unumgänglich bleibt natürlich, dass derjenige, der einen Schaden verursacht oder einer Vertragsstrafe zugestimmt hat, auch dafür einstehen muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung Schadenspauschalen und Vertragsstrafen in der Regel AGB sind und an das Verschulden des Lieferanten zu knüpfen sind. Auch die Höhe einer vereinbarten Strafe muss sich in den meisten Fällen am AGB-Recht messen. Obergerichtlich wurde bereits entschieden, dass Vertragsstrafen von 25 Prozent oder mehr unwirksam sind. Nichts anderes kann für Schadenspauschalen gelten. Auch die Dauer des Verzugs muss bei der Höhe der Vertragsstrafe oder Schadenspauschale entsprechend Berücksichtigung finden. Die neuen Marktbedingungen müssen also auch bereits im rechtlichen Kontext ausreichend berücksichtigt werden.
Zielsetzung aller Beteiligten muss es sein, resiliente und damit ausreichend flexible Versorgungsketten aufzubauen. Die mit dem Händler abgestimmte Möglichkeit, auch zu einer Bestelländerung des Angebotes beziehungsweise Auftrages seitens des Lieferanten zu kommen, kann ein Schritt sein, diese notwendige Anpassung an die neuen Marktbedingungen partnerschaftlich und aufwandsoptimiert umzusetzen. Mit Blick auf nachhaltige und klimaneutrale Lieferketten sind zudem Mindestbestellwerte und der Bestellrhythmus wichtige Aspekte auf dem Weg zu einer vertikalen Integration von Informations- und Produktlieferketten.
„In Krisenzeiten heißt es Zusammenhalten und gemeinschaftlich nach kaufmännisch tragfähigen Lösungen zu suchen. Dazu müssen die gestiegenen Kosten bei allen Partnern der Lieferkette Berücksichtigung finden, in der Summe minimiert und gerecht geschultert werden“, sagt Peter Stechmann, Vorstandsvorsitzender des Herstellerverbandes.
Die Branche insgesamt muss dabei ein Interesse haben, gemeinschaftlich gestärkt aus dieser schwierigen Zeit in die Zukunft gehen zu können. Krisen können dabei den Weg für eine stärkere und vertrauensvollere Zusammenarbeit aufzeigen – diese Chance sollten alle Beteiligten nutzen.