Dr. Joachim Bengelsdorf

Editorial

Es lebe der Handel!

Der Online-Shop ist tot, es lebe der Handel! Etwas zugespitzt vielleicht, aber auf diesen groben Nenner kann man viele Aussagen zusammenfassen, die ich in letzter Zeit auf Messen, Kongressen und anderen Veranstaltungen gehört habe.Wie, der Online-Handel ist tot? Er wächst doch stetig, die Wachstumsprognosen sehen blendend aus, der stationäre Handel verharrt in Schockstarre, werden Sie vielleicht einwenden. Dabei geht es mir nicht darum, die Entwicklungschancen des virtuellen Handels in Frage zu stellen. Es geht vielmehr darum, die permanente öffentliche Trennung zwischen den beiden "Welten" kritisch zu hinterfragen, ein Fragezeichen zu setzen, wenn es um Multi- oder Cross-Channel und um die vermeintliche oder echte Konkurrenz von stationärem und virtuellem Handel geht.Nach einer Untersuchung von Avi Goldfarb von der Universität Toronto gibt es eine separate und unabhängige Online-Welt gar nicht. Ganz im Gegenteil: Auch das digitale Universum sei immer im Kontext der stationären, physischen Welt verankert. Denn auch wenn wir im digitalen Zeitalter völlig im Internet aufgehen und uns dort frei entfalten können, so würden wir doch von der "realen", physischen Welt beeinflusst. Sie habe einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf unseren individuellen Geschmack, auf unser Wesen und unsere Vorlieben. Goldfarb verweist darauf, dass Kunden durchaus sowohl die Möglichkeiten als auch die Nachteile vom Online- und Einzelhandel abwägen und dass sich die beiden Kanäle auch bedingen können.Als Beispiel nennt er eine Untersuchung an verschiedenen Orten in den Vereinigten Staaten. Gerade abseits großer Städte profitieren die Menschen von dem "Death of Distance" - der Irrelevanz großer Entfernungen, da der Online-Handel auch abgelegene Regionen bedienen kann. Nachdem jedoch in solchen Städten Filialen großer Einkaufsketten oder Buchunternehmen öffneten, konnte der Einzelhandel Amazon viele Kunden entreißen, die nun lieber (zumindest bei Mainstream-Artikeln) stationär kauften.Alle Marktteilnehmer unterliegen den gleichen komparativen Gesetzmäßigkeiten. Und da spielt es keine Rolle, ob ich als Online-Händler aktiv bin oder ob ich ein Ladenlokal betreibe. Handel ist Handel, und es ist uninteressant, wo dieser Handel (stationär, mobil, digital) gerade stattfindet. In diesem Sinne: Lassen Sie uns in Zukunft wieder etwas mehr über "den Handel" im Allgemeinen reden. Multi-Channel mag ein schönes, etwas aus der Mode gekommenes Schlagwort sein, es ist aber nur Teil von etwas viel Größerem, dem Handel eben.
Dr. Joachim Bengelsdorf
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