Entschuldigung, aber dieses Editorial ist unangenehm, gewollt und ganz bewusst unangenehm. Warum? Weil ein paar Dinge einfach mal gesagt werden müssen. Wir alle wissen, dass die schönen Sonntagsreden über die vermeintliche Partnerschaft von Handel und Industrie oft so viel Wert sind wie das Papier, auf dem sie geschrieben sind. Abseits der offiziellen Hochglanzveranstaltungen klingt es nämlich ganz anders als auf der Bühne. Da fallen Worte wie „Erpresser“, „Ignoranten“, „Scheinheilige“ und noch andere mehr, wenn es um Jahres- und Konditionengespräche oder um Listungsverhandlungen geht. Das Verhältnis zwischen Handel und Industrie ist belastet – und zwar hochgradig. Dies sei, so äußern sich Lieferantenvertreter, vor allem ein Problem im deutschsprachigen Raum. In Frankreich, in England, ja selbst in den Vereinigten Staaten, dem Land, das für Kapitalismus und raue wirtschaftliche Umgangsformen per se steht, gehe es viel gesitteter, fairer und verlässlicher zu. Im fremdsprachigen Ausland, erzählen Manager, deren Firmen international tätig sind, werde gemeinsam nach neuen Wegen und Lösungen gesucht. In Deutschland und Österreich fühlt sich selbst so mancher Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzende respekt- und würdelos behandelt, wenn er dienstlich mit Baumarktbetreibern zu tun hat. Obi-Gründer Manfred Maus war ja zu seiner aktiven Zeit wahrlich kein softer Industrieversteher, aber es muss doch einen Grund dafür geben, dass ihn auch heute noch viele, die mit ihm auf Lieferantenseite zu tun hatten, zurücksehnen. Ein harter Hund, ja; aber auch verlässlich und fair, ein Kaufmann eben. Man erschrickt vor dem Umkehrschluss, wenn dies denn so stimmt. Denn dann wären die heutigen „Handelspartner“ aus Sicht vieler Lieferanten dies eben nicht mehr: nicht mehr verlässlich, nicht mehr fair – und auch keine echten Kaufleute mehr. Man weigert sich unwillkürlich, diese Schlussfolgerung so stehen zu lassen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Und weil wir dies doch eigentlich nicht wollen. Denn wie soll Wirtschaft auf Dauer ohne harten, aber fairen Wettbewerb funktionieren? Und wenn denn auch nur ein klein wenig an der Klage der Industrie dran ist, weshalb wird diese Entwicklung als typisch für Deutschland und Österreich angesehen? Wie kam es zu diesem Sonderweg? Es wäre schön, wenn mir das mal einer erklären könnte. Dr. Joachim Bengelsdorf Download: Erklärung gesucht (PDF-Datei)