Warum fühlte ich mich nur so unbeschränkt, so wenig gegängelt, so ungehindert bewegungsfähig. Und so untypisch männlich einkaufslustig? Ich schlenderte in den Markt, ausnahmsweise mit einer sorgsam aufgestellten Einkaufsliste und löste mit einem Geldstück einen der Einkaufswagen. Ausnahmsweise erwischte ich einen, der nicht aus der Spur lief und schob ihn durch die Eingangstür. Ich ging weiter und registrierte wohltuend, dass ich keine Schranke mit blauem Pfeil auf runder Blechscheibe, die sich in der Regel gar nicht oder zu langsam öffnet, mit Hand oder Bauch zur Seite drücken musste. Ich schob meinen Wagen vorbei an den Regalreihen und begann meinen Einkaufszettel abzuarbeiten. Erneut fühlte ich mich ungewohnt wohl in großzügig breiten Gängen, ohne dass ich mich mit millimetergenauer Kleinstarbeit an anderen Kunden hätte vorbeidrücken müssen, immer darauf bedacht, keine Lawine aus fallender Ware auszulösen. Besonders angenehm war es jedoch, nach der Tour den gefüllten Einkaufswagen dem Ausgangsbereich entgegenzuschieben. Einen kurzen Moment war ich sogar irritiert, weil ich fast den Einkaufsbereich verlassen hätte, ohne die Kassen zu passieren: keine Barrieren, keine Schranken, keine Gatter bestimmten meine Laufwege, stattdessen breite und bequeme Wege, sogar an den Zahlstationen. Zugegeben, das war nicht in Deutschland, noch nicht einmal in einem Baumarkt, sondern in einem stinknormalen Sainsbury in London. Nun liegt das Argument nahe, dass die Inventurdifferenzen auf "der Insel" entsprechend höher sind. Zu viel Vertrauen in die Ehrlichkeit der Kunden, hat das nicht seinen Preis? Richtig. Die Diebstahlquote in Großbritannien und Nordirland ist in der Tat höher, etwa ein Viertel Prozent vom Umsatz. Ob dies es jedoch rechtfertigt, die Kunden in ihrer Einkaufs-Bewegungsfreiheit so einzuschränken wie das hierzulande gang und gäbe ist, sei dahingestellt, von dem permanenten Misstrauen, das durch die landesübliche "Besucherführung" beständig suggeriert wird, mal ganz abgesehen. Einkaufserlebnis ist natürlich und in erster Linie der günstige Preis, ein breites Warenangebot, Qualität, Serviceorientierung und Beratungskompetenz des Personals, aber auch das Gefühl des barrierefreien Einkaufens in unseren Einkaufsparadiesen. Oder hat schon mal wer von Paradiesen mit Besucherführung gehört? Ihr
Harald Bott