Saint-Gobain stellt sich mit seinem neuen Konzept einem doppelten Abwehr- (oder Angriffs-?) Kampf. Werden tatsächlich in den nächsten Jahren gerade in großstädtischen Gebieten 60 bis 80 Standorte errichtet, dann knabbern die Franzosen zuerst einmal am Marktanteil des klassischen Baustoff-Fachhandels. Und: Sie könnten, selbst wenn man das gar nicht will, mit Raab Karcher auch ein Unternehmen attackieren, dass Saint-Gobain seit 2000 selbst gehört.
Gut, das wird man bei den Plattform-Verantwortlichen etwas anders sehen. Hier wird eher damit argumentiert werden, dass man mit dem neuen Konzept auch Kreise anspreche, die man mit dem Fachhandel schwer erreichen konnte. Und man wird eher auf zusätzlich generierte Umsätze als auf eine mögliche Selbstkannibalisierung verweisen. Kurzum: Man wird die Synergien möglichst positiv darstellen. Und diese können ja auch wirklich bestehen, wenn man das Plattform-Konzept mit einem Baustoff-Fachhandel (wie in Berlin geschehen) vernünftig verbindet.
Andererseits richtet sich das neue Plattform-Konzept natürlich auch und gerade gegen jene deutschen Baumarktbetreiber, die in den letzten Jahren verstärkt versuchen, auch den professionellen Kunden zu erreichen. Ob es dem Fachhandel gefällt oder nicht: Ein Teil der deutschen Baumärkte professionalisiert sich immer mehr, gleich ob bei den Sortimenten, den Öffnungszeiten, speziellen Dienstleistungen (z.B. Handwerkerkarten) und Kassen für Handwerker etc.
Bisher hat der Fachhandel auf diese Herausforderungen des Einzelhandels eher verhalten bis gar nicht reagiert. Es fehlt vor allen Dingen an der schnellen und massiven Umsetzung auf der Fläche. Da kann das System, das Saint-Gobain gefunden zu haben glaubt, durchaus eine Lösung sein. Vor allen Dingen auch deshalb, weil dies keine rein nationale Antwort ist, sondern eine, die in eine internationale Expansionsstrategie eingebettet ist. Und in der Deutschland nur ein, wenn auch wichtiger Faktor ist. Diese internationale Ausrichtung sucht man beim Baufachhandel in der Regel erst recht vergebens. Da müssen wohl noch einige Tassen Tee getrunken werden, bevor richtig was geschieht.
Dr. Joachim Bengelsdorf
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