Rund 50 Branchenvertreter haben sich im Schlosshotel Bad Wilhelmshöhe in Kassel getroffen, um sich über die Zukunft ihrer Produkte auszutauschen. Nach ersten Ankündigungen auf der Messe Heimtextil im Januar gab es jetzt genauere Informationen, wie sich der Verband der Tapetenindustrie (VDT) nach 136 Jahren neu erfindet. „Die Branche befindet sich in einem Transformationsprozess und der Verband muss sich darum breiter aufstellen, um der Vielfalt im Markt gerecht zu werden“, erklärte VDT-Geschäftsführer Karsten Brandt. Zuvor hatte die Mitgliederversammlung getagt und das Konzept einmütig verabschiedet.
VDT-Vorsitzender Michael Caspar nannte die Öffnung gar historisch: „Es mag ein kleiner Schritt für die Menschheit sein, aber für uns Tapetenmenschen ist es schon eine größere Sache.“ Konnten bisher nur Hersteller von Mustertapeten und Zulieferfirmen Mitglied im VDT werden, werden im „neuen VDT“ nun auch Hersteller von Wandbekleidungen unabhängig der Technik, ausländische Unternehmen mit einer Niederlassung in Deutschland, Anbieter aus dem Objektbereich sowie Editeure willkommen geheißen – das hatte bereits vor dem Gipfel sechs Neuzugänge gebracht. Außerdem werden mehr Zulieferfirmen aufgenommen sowie assoziierte und Juniormitglieder. Ein achtköpfiges Transformationsteam hatte sich seit Januar mit dem Prozess beschäftigt.
Gleichzeitig will der VDT dem Malerhandwerk wieder eine stärkere Zusammenarbeit anbieten, führte Brandt aus. So könne man gemeinsam überlegen, wo man ansetzen könne, damit die Tapete wieder als unverzichtbares Element bei der Raumgestaltung angesehen werde. Auch mit Berufsschulen, Kammern, Mieterverein, Haus & Grund, Handel und Inneneinrichtern sowie anderen Berufsverbänden etwa für Decke oder Bodenbeläge solle mehr Austausch stattfinden, zur Mitgliederversammlung sollen auch Partner eingeladen werden.
Die Gemeinschaftswerbung der Mitglieder wird weiter als wesentlicher Punkt angesehen. Erste Priorität hätten dabei zwar B2B-Partner wie Maler und Planer, welche die Produkte den Verbrauchern empfehlen, aber auch B2C solle wieder in den Fokus gerückt werden. Nachhaltigkeit nannte Brandt als dritten Punkt, die „Task Force Nachhaltigkeit“ habe dieses Jahr schon dreimal getagt, um gemeinsame Positionen für die Tapetenbranche zu entwickeln, auch Zulieferer und Handel sitzen mit im Boot.
Michael Caspar stellte einen Ehrenpreis des VDT in Aussicht, der im November erstmals vergeben werden soll – und zeigte gleich die Trophäe. „Ich hoffe, das wird eine neue Tradition, und bin mir sehr sicher, dass die Tapete eine Zukunft hat.“
Besserer Schulterschluss
Interessante Einblicke für die Hersteller gab Roger Schneidewind, Geschäftsführer der Event-Werkstatt Detmold, der dort Handwerkskurse für Verbraucher gibt. Eindrucksvoll zeigte er mit einem großen Werkzeugwagen, was er alles braucht, wenn er nach Anleitung der Tapetenhersteller geht: 55 bis 61 verschiedene Werkzeuge! „Viele Kunden wollen dazulernen, trauen sich aber an ihr Produkt nicht heran.“ Möbel ausräumen, Fußleisten entfernen, wobei häufig die Nägel Löcher im Putz hinterlassen, Steckdosen und Schalter demontieren, alte Tapeten entfernen, wofür man meist Spachtel und viel Wasser, womöglich noch andere Mitttel, benötigt, dann muss die Wand trocken sein, sauber, nicht sandig, glatt – „da war eine Woche schon für die Vorbereitung weg“.
Schneidewinds Fazit: Das Produkt ist kompliziert und muss besser erklärt werden. „Youtube-Videos sind eine tolle Sache, aber die Kunden wissen oft nicht einmal, wie man Spachtel anrührt.“ Man müsse handwerkliche Grundkenntnisse schon in der Schule vermitteln, und. „Es muss doch irgendwie möglich sein, im Baumarkt eine Wand aufzubauen, wo die Kunden Dinge ausprobieren können.“
„Hat die Tapete noch eine Zukunft?“ lautete das Thema von Dietmar Ahle, Vizepräsident des Bundesverbands Farbe Gestaltung Bautenschutz. Der Inhaber eines kleinen Malerbetriebs aus Paderborn mit 25 Mitarbeitern konnte aus eigener Anschauung erzählen, wie eine rote Wand im Schlafzimmer seine Genesung bei Krankheiten deutlich beschleunigt habe gegenüber einer langweiligen weißen Wand. „Am wohlsten fühlen sich Menschen bei Farben, die aus der Natur kommen. Die klassische Raufaser ist aber nicht mehr Trend.“
Bei Tapeten sei aber immer die Frage, wie der Endverbraucher die sauber anbringen kann. Dafür brauche es beispielsweise die 40.000 Malerfachbetriebe in der Republik. „Wir wollen mehr Tapeten anbringen, aber wir brauchen den persönlichen Austausch mit den Herstellern“, plädierte er für mehr Kooperation. Mit einem Tapetenproduzenten sei es durch einen persönlichen Kontakt über die Jahre zu einer Freundschaft gekommen und heutzutage schicke der dem Maler die neue Kollektion und bitte um seine Meinung. „Wir sind am Endkunden dran und kennen seinen Bedarf“, warb Ahle um einen besseren Schulterschluss.
Es gebe großartige Innovationen in der Branche und irgendwann smarte Tapeten – „ja, die Tapete hat eine Zukunft!“ Um das zu untermauern, hatte Ahle die Innendesignerin Emel Gök Che und das Model Jurena samt ihrem Tapetenkleid mitgebracht.
Michael Weijers aus Venlo, Geschäftsführer Veldhoen & Company in Düsseldorf, legte den Fokus in seinem Vortrag „New Work und Cradle2Cradle in der Innenarchitektur“ auf Nachhaltigkeit und das Thema Gesundheit. Das Personal mache mit 90 Prozent den größten Bestandteil der Kosten an jedem Bürogebäude aus und mit Tapeten könne man für mehr Wohlbefinden sorgen. „Ich habe gehört, es gibt schon Tapeten, die CO2 oder Feinstaub reduzieren. Bitte vermarktet das!“ Gesundheit werde immer wichtiger und seltener kranke Mitarbeiter sparten massiv Geld, darum sei das auch für die Auftraggeber ein wichtiges Thema.
Trendexpertin Katrin De Louw, Geschäftsführerin Trendfilter, sah in ihrem Beitrag „Interior-Trendreport 2023: Design & Strategien in der Zeitenwende“ ganz klar die Rückkehr zu mehr Farbe. Außerdem sollten sich die Tapetenhersteller nicht das Thema Decke nehmen lassen. Möbel und Wandbeläge aus nachwachsenden Rohstoffen seien kompostierbar oder wieder zu verwerten, auch mit Reparaturmöglichkeiten oder Nachnutzung als Geschenkpapier oder Kunst könnten Tapeten nachhaltiger werden.
Dies ist die Langversion des Beitrags aus der Printausgabe diy 8/2023.