Dr. Joachim Bengelsdorf
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Kommentar

Kommt ein Zweiklassensystem?

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Wie verändert Corona unsere Gesellschaft, unsere Gewohnheiten, unser Konsumverhalten? Wie tief gehen diese Veränderungen, schwingt das Pendel irgendwann einmal wieder in die alte Stellung von Anfang des Jahres 2020 zurück oder wirken diese Veränderungen länger?

Das sind Fragen, die mir während der Gottseidank wieder zunehmenden Firmenbesuche regelmäßig gestellt werden. Wir haben unser Verhalten ja auch tatsächlich radikal umgestellt in den vergangenen Monaten: Wir pflegen heute unsere sozialen Kontakte ganz anders als noch im Januar 2020. Die meisten Mitbürger agieren vorsichtiger, zurückhaltender, manche kapseln sich auch stärker ein. Angela Merkel hat völlig zu Recht Corona als eine Zumutung für die Demokratie, für unsere Gesellschaft und für unsere Lebensart bezeichnet.

Mir geht es so, dass ich es diesem Virus persönlich übel nehme, dass ich so viele meiner Verhaltensweisen überdenken und anpassen muss. Das ist mir als gesellschaftlichem und politischem Wesen zutiefst zuwider.

Jedoch: Es ist so, wie es ist. Der Londoner Geschichtswissenschaftler Frank Trentmann (nomen est omen!), der sich seit Jahren mit der Geschichte des Konsums beschäftigt – sein im Jahr 2017 erschienenes Buch „Herrschaft der Dinge“ sei an dieser Stelle jedem ans Herz gelegt –, prognostiziert in einem Interview im Magazin „Spiegel“, dass sich unser Einkaufsverhalten durch die Corona-Pandemie „radikal verändern wird.“ Das Virus erschüttere die Grundlage, auf der unsere moderne Konsumkultur seit 500 Jahren beruhe. Corona verhindere den „dynamischen Austausch von Dingen und Erlebnissen: in Geschäften, Einkaufspassagen, Warenhäusern, Konzerthallen, Vergnügungsvierteln.“ Dafür seien Mobilität und Nähe nötig und diese Voraussetzungen seien auf absehbare Zeit kaum gegeben.

Trentmann warnt davor zu glauben, dass die Bürger einfach zu ihren alten Gewohnheiten zurückkehren würden. Die meisten würden auf Dauer genügsamer werden, viele unserer Konsumvorstellungen wie regelmäßige Restaurantbesuche und jährliche Urlaube seien erst vor ein bis zwei Generationen entstanden.

Die Pandemie werde, so die für einen Historiker ungemein mutige Vorhersage, ein Zweiklassensystem befördern. Die Einen werden sich Live-Erlebnisse wie Reisen und Konzertbesuche gönnen können, die anderen werden zuhause bleiben und die Aufführung vor dem Bildschirm genießen. Und er sagt eine Wiederbelebung von Nachbarschaften, von Wochenmärkten und kleinen Läden, von Bücherbussen und Tante-Emma-Wagen voraus.

Mag sein, dass das in erster…

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