Kurz vor dem Ende meiner „Amtszeit“ als Chefredakteur dieser Zeitschrift lesen Sie an dieser Stelle ein Editorial, das nicht mit einem Photo des Kommentators gemeinsam abgedruckt wird. Stattdessen die Aufnahme einer ländlichen Landschaft: ein goldgelbes Getreidefeld im Vordergrund, darüber ein wolkenloser, hellblauer Himmel.
Sie können sich natürlich denken, wofür dieses Bild steht: Es steht für die Ukraine, für die riesigen Getreidefelder, die vor einem blauen Himmel dahinfließen, und es steht für die Nationalflagge des Landes, dessen beide Farben diese zwei Attribute (Getreide und Himmel) widerspiegeln. Doch das Photo soll auch symbolisieren, dass es manches Mal Wichtigeres gibt als die individualistische Nabelschau eines Journalisten. Es ist die Verneigung vor einem großen Land, vor einem großen Volk, vor einem großen Präsidenten.
Der 24. Februar 2022, ein Donnerstag, markiert eine Zeitenwende. Das Datum bedeutet das Ende einer scheinbar stabilen und perpetuellen politischen und wirtschaftlichen Ordnung in Europa – und wohl auch darüber hinaus. Gewaltverzicht in der Politik, die Unverletzbarkeit von Grenzen, das Einhalten von Verträgen, Abkommen und Garantien, nichts scheint mehr zu zählen. Stattdessen sind jetzt der brutale Einsatz des Militärs, die Eroberung fremder Territorien sowie Lügen, Desinformation und Fake News scheinbar legitime Mittel zur Durchsetzung von Herrschaftsphantasien.
Wir alle sind aus einem leicht narkotischen, doch wohligen Dämmerschlaf direkt in einen Albtraum hinabgeglitten. Unsere westlichen Gesellschaften, unsere Politik, unser Militär und unsere Wirtschaft sehen sich von einem Augenblick zum nächsten einer völlig unerwarteten Situation gegenüber. Die Vernunft scheint in Teilen der Welt abgedankt zu haben. Er, dessen Name ich hier nicht ausschreiben will, wird doch nicht?! Doch, er wird!
Die Zerstörungen in der Ukraine, die Toten und Verletzten, die Flüchtenden, die zerbombten Häuser und Kulturstätten – furchtbar! Die Qualen der geschundenen kleinen und großen Seelen – unvorstellbar! „Wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit“: Lesen Sie einmal wieder den Roman „1984“ von George Orwell. Und so wird auch die Bevölkerung des Aggressorlandes zum Opfer, wird verführt und ebenfalls missbraucht. Wer, wenn nicht wir Deutsche, hat damit bereits bittere Erfahrungen gemacht.
Unsere Branche, die doch so exportorientiert ist und dessen größter Baumarktbetreiber sich schnell aus Russland zurückgezogen hat, wird die Auswirkungen auch zu spüren bekommen. Wie stark diese sein werden, kann heute, Mitte März 2022, noch keiner sagen. Es wird vielleicht eher einem Neuanfang ähneln, weil vielleicht eine noch viel dunklere Wolkenwand noch weiter im Osten aufzieht.
Herzlichst Ihr