Obi in Wien
Und hier einer der neuesten Generation: der Obi-Markt in der Triester Straße in Wien.

Rückblick

Die Beständigkeit des Wandels

Kein nostalgischer Blick zurück, sondern eine emotionale Bestandsaufnahme und ein kritischer Ausblick.

Meine 60 Berufsjahre in der Werkzeugwelt begannen, als die D-Mark gerade das Licht erblickte und die Nachkriegstauschwirtschaft des Mangels radikal beendete. Wenn Nachbars Werkzeugkiste nur angerostete Vorkriegsware ausspuckte, war ein Besuch im Eisenwarengeschäft angesagt. Über 5.000 Nahversorger umfasste die Kundenkartei von KWB vor 50 Jahren, glücklicherweise die Mehrzahl davon kaufend. In einigen Schutzgebieten dürften die meterhohen Schubladenwände mit aufgeschraubten Inhaltsmustern noch überlebt haben.
Funktion und vor allem Vorrätigkeit waren in den ersten Wirtschaftswunderjahren gefragt, denn der Koreakrieg am Anfang der 50er Jahre schuf sofort wieder Mangelsituationen. Rohlinge für Zangen wurden von den Gesenkschmieden wie  Preziosen zugeteilt. Ich kenne noch (ungeeignete) Ersatzwerkzeuge aus Temperguss, ja sogar Kombizangen aus Zinkdruckguss mit eingespritzten Stahlschneiden. Erste leichte Bohrmaschinen für den Privatgebrauch hatten noch nicht einmal ein Zahnkranzbohrfutter, spannten ohnehin nur Schäfte bis 6 mm. Zur Steinbearbeitung war ein Widiabohrer ab Werk für 1,50 Mark schon recht billig. Wehe, man verletzte dabei die Namensrechte von Krupp. Geschraubt wurde hierzulande mit klobigen "Engländern", dabei exportierten wir schon in großen Mengen Rollgabel-, Stillson- und Ridgidschlüssel aus bergischer Produktion in die USA. Sie waren damals im deutschen Markt so unbekannt wie auch Rollbandmaße. Klauenhämmer wurden zwar exportiert, aber dass man damit Nägel auszog, haben wir erst spät von unseren Zimmerleuten gelernt (dafür kennen Amerikaner bis heute keine Kantenzange).
Ein sensationeller und viel beachteter Schritt zur Selbstbedienung begann, als Zahn-Nopper in Stuttgart Kleineisenwaren in Plastikbeutel verpackte und preisauszeichnete. "Do-it-yourself" hätte in den 60er Jahren irgendwann einmal das Wort des Jahres werden müssen. 300 bis 500 m² Verkaufsfläche genügte, um sich als Fachgeschäft zu fühlen. Um  die Sortimente kämpften Heer­scharen von Reisenden der Hersteller und des (damals noch bedeutenden) Großhandels.
Das Heimwerken erwachte kraftvoll, die Sortimente wuchsen (später wucherten sie), die Loch­plattenwände ersetzen die Schrank­wände. Die einflussreichen großen Einkaufsverbände waren Wegbereiter für Wachstum und Modernisierung mittelständischer Fachmärkte. Tonangebend wurden aber schnell die großflächigeren Baumärkte, die Wettbewerb und Präsentation in neue Dimensionen brachten. Nicht allen Gründern war ein langer Erfolg beschieden. Namen wie Bräutigam, Ziegenhagen, Wirichs, Kriegbaum, Götzen verschwanden unter dem Metro-Dach. Ganz anders die Pioniere wie Emil Lux, Manfred Maus, Heinz-Georg Baus und Otmar Hornbach, die auf USA-Reisen Innovationskraft für jahrzehntelange, nachhaltige Marktveränderung tankten.
Es gelang in den stürmischen 70er und 80er Jahren, fast alle Grenzen der alten Eisenwarensortimente zu sprengen. Alle Baugewerke, Garten- und Wohnwelten und Haustechnik fanden im Baumarkt neue Heimat. Alles unter einem Dach veränderte das Konsumverhalten der Heimwerker. Neue und bekannte Warengruppen standen in nie gekannter Vollständigkeit zur sofortigen Mitnahme zur Verfügung. Die Qualitätsskepsis des Handwerks legte sich rasch, ja, Projektmanagement wurde ein neues stabiles Fundament für darauf fokussierte Baumärkte.
Der Siegeszug der Marktführer veränderte auch die Angebotslandschaft. Die Anzahl kompetenter Lieferanten wurde im Wortsinn dezimiert. Nur die Innovativsten, Schnellsten und Zuverlässigsten   hatten Baumarktchancen. In manchen Produktkategorien gibt es heute nur noch einstellig Wettbewerb.
Das erfordert auf beiden Seiten Kooperationswillen. Man ist aufeinander angewiesen. Dabei spielen vernetzte Warenwirtschaftssysteme eine Schlüsselrolle. Integrierte Logistik und moderne Bezahlsysteme sind zur Effizienz erfolgsentscheidend. Der Druck auf die Flächenproduktivität bleibt unverändert.
Die teilweise ausufernden Sortimente erzwingen immer verbesserte Präsentationsimpulse. Denken Produktverantwortliche und Konsumenten wirklich gleich? Ich sehe da noch viele Erfolgsreserven.
Über vielen Konsumbereichen schwebt unübersehbar eine Wolke, pardon "cloud" als Chance und Herausforderung - möglichst nicht als Gefahr. Amazon, Ebay und viele andere beweisen, dass sich buchstäblich alles online vermarkten lässt - zu Lasten des stationären Markts. Wie können, sollen, wollen die Baumarktriesen reagieren? Eigene Online Shops halten den Umsatz im Konzern, sofern nicht Hersteller und Lieferanten mit eigenen Portalen im Vorfeld Rahm abschöpfen.
Die Optik der vielfältigen Präsentationen im Markt kann der Versandhandel schwer nachvollziehen, von der Haptik beim Anfassen ganz zu schweigen. Wir Senioren lieben deshalb Baumärkte in der heutigen brillanten und kaufstimulierenden Ausprägung. Aber werden unsere Kinder und Enkel auch so denken?
Die sofortige Verfügbarkeit zig­tausender auch großformatiger Produkte, auch in voluminösen Gebinden, bedingt riesige Flächen. Shopping im Baumarkt kann schon zu Wandertagen ausarten.
Wäre ein Bau- und Heimwerkermarkt auch erfolgreich denkbar, wenn er als Showroom konzipiert wäre? Alles, zumindest fast alle Verkaufsartikel, fänden sich nur einmal auf der Fläche. Es sollte möglich sein, die Produkte, die der Kunde per Terminal scannt, in der Zeit des Bezahlens backstage verladefähig bereitzustellen. Wer eine solche Idee dereinst geschickt erfolgreich umsetzt, halbiert seinen kostenträchtigen Flächenbedarf und sichert eine stabile Position für das stationäre Geschäft gegenüber dem Shoppen im Internet.
Die noch relativ junge Branche bleibt spannend. Nichts ist erfolgreicher, als Ideen, deren Zeit gekommen ist.
Bauhaus in Mannheim
Gilt als einer der ersten Baumärkte: der Bauhaus-Standort in Mannheim.
Karl Hans Burmeister
Der Autor - Karl Hans Burmeisterehemaliger Inhaber und Geschäftsführer von KWB, Stuhr
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