Rechenkunststücke

Man kann es auch übertreiben mit den Jubiläen.

Man kann es auch übertreiben! Da wirbt ein (norddeutsches!) DIY-Handelsunternehmen auf seinen aktuellen Prospekten mit seinem 122. Geburtstag. Elf mal elf Jahre plus ein weiteres Jahr sozusagen. Für Rheinländer mag das ja gerade zur Karnevalszeit ein Anlass zu kollektiver Ausgelassenheit und massenhaftem Realitätsverlust sein, aber für Hanseaten? Feiern wir demnächst auch die zwölfeinhalbte Eröffnung eines Baumarktes?
Zu leiden hat unter solchen Feieraktivitäten in der Regel zuerst einmal die Industrie. Gleich ob Geburtstag, Jubiläum, runde Eröffnung, Fusion und ähnlichem, von ihr werden immer satte Preisnachlässe erwartet. Höflich, aber knallhart in der Wortwahl werden solche Rabatte von Handelsseite oft einfach in Rundbriefen an die Lieferanten über einen gewissen Zeitraum als selbstverständlich vorausgesetzt. Diskussionsmöglichkeiten ­ keine! Die vielbeschworene Partnerschaft zwischen Industrie und Handel ­ Schönwetterpalaver! Ab und an flattern Redaktionen solche Anschriebe auf den Tisch. Besonders frech ging ja die Karstadt-Quelle AG Anfang August dieses Jahres vor, die rund 1.000 Lieferanten ankündigte, man werde zur Verbesserung der Wettbewerbsposition und "zur Sicherung unseres gemeinsamen Wachstums" von allen Rechnungen in Kürze einen zusätzlichen Bonus in Höhe von 2,5 Prozent abziehen. Karstadt-Quelle unterlag zwar vor Gericht, doch für den ZHH steht fest, dass in anderen Konzernzentralen das gleiche getan wird, nur mit gesetzeskonformen Methoden.
Zu leiden hat aber auch der Kunde unter solchen Absatzstrategien. Wem kann er denn seinen Grund zum Feiern noch unvoreingenommen abnehmen? Wie soll er denn die Übersicht behalten angesichts all der sogenannten "Jubelpreise"? Der Wert von solchen Sonderaktionen sinkt gegen Null, wenn ihr Anlass offensichtlich immer nichtiger wird. Oder wenn überhaupt keiner mehr vorhanden ist und nur an der Preisschraube gedreht werden soll. Eigentlich kann der Kunde angesichts der Vielfalt von Sonder- und Aktionspreisen überhaupt nicht mehr richtig vergleichen.
Und letztendlich verliert der Handel auch selber. Er verliert an Glaubwürdigkeit, an Kompetenz, an Vertrauen. Und das gleichmäßig nach beiden Seiten: zum Lieferanten und zum Kunden hin. Wer beim Handel beide Parteien wirklich ernst nimmt, der sollte mit solchen mehr als ärgerlichen Spielereien aufhören. Denn den verlorenen Boden wieder aufzuholen, Vertrauen wieder aufzubauen, das ist ­ das weiß auch der Handel ­ ein äußerst mühseliges Geschäft.
Dr. Joachim Bengelsdorf
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