Viele Themen treiben die Logistikbranche derzeit um. Seien es die enorm gestiegenen Energie- und Transportkosten, Verzögerungen in den Lieferketten, Container- und Fachkräftemangel oder die Folgen der strikten Coronapolitik Chinas – ein Großteil dieser Entwicklungen wird laut Meinung von Experten auch im kommenden Jahr weiter anhalten, sich sogar teilweise verschlimmern. So sagte etwa Antonios Rigalos vom Seefracht-Verbund XStaff im Rahmen des diesjährigen Synlog-Tages, dass Hafenüberlastungen, Laderaummangel und der steigende Ölpreis die Branche weiter begleiten und auch die hohe Nachfrage bleiben werde. Prof. Dr.-Ing. Thomas Wimmer, Vorstandsvorsitzender der Bundesvereinigung Logistik (BVL), sieht noch weitere Herausforderungen auf die Branche zukommen: „So, wie es vor den derzeitigen Störungen in den Lieferketten war, wird es nicht mehr werden. Wenn wir die derzeitigen Krisen bewältigt haben, werden andere in den Vordergrund treten und neue Herausforderungen bringen. Resilientere Lieferketten erfordern in vielen Prozessen radikales Umdenken – nicht zuletzt vom bisherigen Primat der Kosten hin zu den neuen Prioritäten Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit. Es ist besonders wichtig, sich in Situationen wie dieser unter Freunden auszutauschen.“
Ähnlich sieht es der Geschäftsführer des Vereins, Dr. Martin Schwemmer. „Es sind keine leichten Zeiten. Wir sehen aktuell ein fast ausschließlich inflationsgetriebenes Wachstum, dazu kommt noch der Druck zur Erreichung der Klimaziele. Auf die Volatilität sollten Unternehmen mit flexibleren Partnerschaften, mehr Transparenz und konkreten Maßnahmen zur CO2-Reduktion reagieren. Die strategischen Themen dürfen nicht überlagert werden von den operativen Trends der angespannten Energieversorgung, Ressourcenengpässen, Lieferkettenunterbrechungen und dem Fachkräftemangel“, unterstreicht er.
Eine Möglichkeit zur Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen bietet die Digitalisierung. So lassen sich mithilfe digitaler Technologien beispielsweise Leerfahrten vermeiden. „Gut jeder dritte Lkw in Deutschland ist derzeit leer unterwegs“, sagte Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder in einer Veranstaltung zum Thema Digitalisierung in der Logistik. Der Digitalverband hat zwei zentrale Trends in der Branche definiert: Zum einen würden verschiedene Verkehrsmittel miteinander kombiniert, wie Lkw oder Bahn mit E-Lastenrädern, ebenso der Personen- und Güterverkehr. Fraunhofer Austria testet dazu derzeit die Beförderung von Paketen durch Fahrgäste, die die Wiener Straßenbahn nutzen. Zum anderen setze die Branche auf neue Transportmittel, beispielsweise autonome Fahrzeuge oder Drohnen. Verschiedene Anbieter, darunter MAN Truck & Bus und Bosch, haben ein Projekt mit dem Namen ATLAS-L4 gestartet, um bis Mitte dieses Jahrzehnts erstmals autonom fahrende Lkw auf der Autobahn zum Einsatz bringen. Und Hamburg erprobt in einem vierjährigen Pilotprojekt, das mit rund 23 Mio. Euro von der EU bezuschusst wird, als deutschlandweit erste Stadt autonome Lkw-Transportfahrten von der Autobahn zum Terminalgelände des Hamburger Hafens.
Weiterhin diskutiert werden zudem alternative Antriebstechnologien. Das EHI hat dazu eine Händler-Umfrage durchgeführt, darunter auch Teilnehmer aus dem Bereich DIY und Garten. Ein knappes Drittel der Unternehmen (32,0 Prozent) erwartet eine Umrüstung auf alternative Antriebe innerhalb der kommenden fünf Jahre, knapp 18 Prozent erst später, bei 28,6 Prozent ist die Umstellung bereits angelaufen. Bei der Frage, welche Alternativen für das eigene Unternehmen als am besten geeignet gesehen werden, entfallen die ersten beiden Plätze auf die reine Elektro- sowie die Wasserstoff-Technologie, während die Verwendung von Oberleitungen zur Stromversorgung der Fahrzeuge (E-Highway) aus Handelsperspektive als einzige Alternative mehrheitlich als ungeeignet bewertet wird.
Wasserstoff-Lkw werden derzeit bei Dachser getestet. Auch bei Migros in der Schweiz, die unter anderem das DIY-Format Do It + Garden betreibt, sind diese Lastwagen im Einsatz. Auf Anfrage von diy teilt das Unternehmen mit: „Die Fachmärkte werden großmehrheitlich mit den Fahrzeugflotten der Genossenschaften beliefert. Diejenigen Genossenschaften, welche H2-Lkws besitzen, setzen diese auf sämtlichen ihrer Touren ein und sind ebenfalls für den Transport des gesamten Sortiments im Einsatz, auch für Waren von Do It + Garden.“ Der Baubedarfsanbieter Köbig stellt seinen Fuhrpark laut eigenen Angaben ebenfalls auf mit Wasserstoff betriebene Lastwagen um.
Bei den E-Lkws ist die Entwicklung schon weiter. Hier nutzt Dachser bereits das Modell E-Actros aus Serienproduktion. Der Baustoffhändler Stark testet seit Anfang dieses Jahres ein Sondermodell der Marke MAN.
Ein weiteres Problem in der Logistik, mit Blick auf Nachhaltigkeit und Effizienz: das hohe Papieraufkommen durch Lieferscheine. Eine digitale Version haben BVL und GS1 Germany nun zusammen mit T-Systems sowie mit Partnern aus Industrie, Handel und Logistikdienstleistung für den Praxiseinsatz fertiggestellt. „Jetzt können alle Supply-Chain-Partner digitale Lieferscheine und perspektivisch andere Transportdokumente über Cloud4Log austauschen“, erklärt Schwemmer. Die Online-Plattform ist in vielen Branchen für den Warenverkehr sofort einsetzbar.
Doch auch andere Hindernisse lassen sich mit digitalen Lösungen überwinden. In einer Bitkom-Umfrage unter 400 Logistikunternehmen gaben 81 Prozent der Befragten an, durch Digitalisierung Verbesserungen beim Endkunden-Service zu erreichen. 64 Prozent bemerken eine bessere Kommunikation mit Geschäftspartnern oder Kunden. Digitalisierung schaffe zudem eine höhere Transparenz in der Lieferkette (61 Prozent) und verbessere die Versorgung im ländlichen Raum (37 Prozent). Außerdem beschleunige sie Prozesse und spare Zeit (84 Prozent) und Kosten (60 Prozent), senke die Fehler- und Ausfallanfälligkeit (44 Prozent) und sorge für einen geringeren Bedarf an Arbeitskräften (30 Prozent).
Diese und ähnliche Themen wurden im Rahmen des Deutschen Logistik-Kongresses diskutiert, der Ende Oktober 2022 in Berlin stattfand. Anlässlich der Veranstaltung hat die Arbeitsgruppe für Supply Chain Services des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS ein Update zu den Top 100 Unternehmen der Logistik veröffentlicht. Danach ist die deutsche Logistikwirtschaft 2021 um 5,0 Prozent auf 294 Mrd. Euro gewachsen (nach +2,5 Prozent 2019 und -1,8 Prozent 2020). Mit 3,36 Mio. Erwerbstätigen im Wirtschaftsbereich waren über 100.000 Personen mehr mit operativen und administrativen Logistikaufgaben beschäftigt als im Vorjahr.
Ebenfalls lag die Zusammenfassung des Herbst-Gipfels der Logistikweisen vor. Das vom BVL-Marktexperten Prof. Dr. Christian Kille initiierte Gremium geht für das Jahr 2022 von einem nominalen Wachstum von 8,5 Prozent aus, das vor allem auf steigende Kosten und Preise zurückzuführen ist. Die Wirtschaftsleistung würde sich damit auf 319 Mrd. Euro erhöhen. Real wird eine Steigerung von 0,6 Prozent angenommen. Eine Prognose für das Jahr 2023 könne man aufgrund der volatilen Lage zum jetzigen Zeitpunkt nicht abgeben, so die Logistikweisen.
Unter dem Motto "Supply Chains matter!" kamen bei dem Kongress rund 2.000 Fach- und Führungskräfte aus dem Wirtschaftsbereich Logistik zusammen. Sie diskutierten unter anderem, wie die Lieferketten im von Engpässen und Krisen geprägten New Normal aufrechterhalten werden können.
Dies ist die Langversion des Beitrags aus der Printausgabe diy 12/2022