Hier stellt sich eine komplette Enzyklopädie supramedial vor: ‚Reise durch ein Wunderland‘. Diese Reise führt nicht nur durch ein Land echter Wunder, sondern ist sogar noch eine Sightseeing-Tour. Bienenfleißig ist da zusammengetragen, was einer kraftvoll expandierenden Gruppe von Heimwerkermärkten in 50 Jahren begegnete, also, mit wem alles Obi schon zu tun hatte und wer alles mit Obi.
In einem wachstumsverliebten Markt hätte sich wohl kein Kapitän über mehr Tempo, mehr Anerkennung und Respekt freuen dürfen. Genau dies verraten jene feinsinnigen Merksätze zum hohen Lob der Bescheidenheit wie „Schildkröten können Dir mehr über den Weg erzählen als Hasen“ oder „Wer weit zu reisen gedenkt, muss sein Reittier schonen“.
Dazu werden Manfred Maus als oberste Obi-Instanz mit Harald Lux und deren interessierte Mitstreiter ebenso wie weitere treue Weggefährten lebendig porträtiert und dabei wie selbstverständlich auch dominant bebildert und beschrieben. Diese noble Haltung wird auch dann nicht aufgegeben, wenn über Einschränkungen und sogar Trennungen zu berichten ist.
„Eine Reise durch das OBI-Wunderland“ profitiert im echten Leben durchaus von der schriftstellerischen Fantasie und von menschlicher Zuwendung. Obi unterzog sich vor fast 30 Jahren dazu sieben Monate der Diagnose jenes veritablen Schriftstellers und gebürtigen Österreichers Dr. Andreas Novak. Er studierte Sinologie und promovierte schließlich 1994 mit seiner Studie „Die Zentrale – ethnologische Aspekte einer Unternehmenskultur“. Das ist die Überschrift der Aufzeichnungen Novaks im Jahr 1991 während dessen Beobachtungen des Obi-Betriebs Wermelskirchen - mitsamt „der dort agierenden Personen“. Nach heutigem Begriffsverständnis würde man seine Arbeit eher eine Milieu-Studie nennen.
Da schon Andreas Novak selber wie wohl auch der Verfasser des Obi-Bandes („J.B.“, Dr. Joachim Bengelsdorf) den Konzern „verschachtelt“ und sogar „undurchschaubar“ nennen, rückt eine Unternehmensstruktur ins Licht, deren Wachstum auf der Beteiligung oder Übernahme von Neugründungen beruht. Das gelingt, soweit der große Boss persönlich in die Akquisition junger Unternehmen einsteigt und stets weitere Verbündete unter der Obi-Flagge sammelt. Dabei fackelt er nicht lange. So entstehen auch Einmallösungen mit Gründern oder deren Erben, die entweder den Herausforderungen folgen oder dank Verhandlungskunst sehr persönliche Gesellschaftsformen unter dem Obi-Logo kreieren. Die daraus entstandene Rechtsstruktur wurde unter anderem „auf ein Bettlaken“ gemalt, Joachim Bengelsdorf nennt das dann aber versöhnlich „Organigramm“.
Es ist nicht einfach, sich durch den Wust all der Wörter zu quälen, mit denen Psychoanalytiker, Sozio- und Politologen, Pädagogen und Philosophen dem düsteren Geheimnis der Organisation nachspüren. Hier gelingt aber eine zauberhafte Begegnung der groben Notwendigkeiten des Alltags mit den Versprechen eines komfortablen Zusammenlebens. Wer Bengelsdorfs Obi gelesen hat, gewinnt das attraktive Bild einer rundum gelingenden DIY-Welt.
In Deutschland fehlte es nach zwei verlustreichen Großkriegen nicht nur an klugen Menschen, sondern noch mehr an Material für die menschheitlich älteste Werks- und Gestaltungskunst. So wurde das Selbermachen für tausende Deutscher die beste Lösung in den Schwierigkeiten des Wiederaufbaus. Viele Probleme jener Zeit sind inzwischen gelöst. Die drückenden Mangelsituationen der Nachkriegswirtschaft sind fast vergessen. Eine kraftvolle Welle selbstbewusster Initiativen hat Stadt und Land bewegt und viele Wunden geheilt.
„Eine Reise durch das Obi-Wunderland“ ist zum attraktiven Geschichtsbuch einer Handwerks- und Heim-Kultur geworden. Ein sozusagen zweiter Band hätte sich mit den Folgen für die traditionellen gewerblichen Baugewerke auseinanderzusetzen.
Ursula König
Dähne Corporate Publishing
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