Ein Totentanz

 Da staunt der Fachmann und der Laie wundert sich: globale Finanzkrise, Katastrophenszenarien für die Realwirtschaft, Verunsicherung der Bevölkerung – und welche Schlüsse ziehen wir daraus? Die gleichen Experten, die sich über Jahre dadurch ausgezeichnet haben, dass viele ihrer Prognosen daneben lagen, orakeln munter und mit mehr oder weniger Sinn weiter, wenn heute auch mit mehr Blues im Timbre. Politiker, die von Legislaturperiode zu Legislaturperiode das „freie Spiel der Marktkräfte“ als die alleinseligmachende Basis unserer Wirtschaft bezeichnet haben, tun jetzt die krisenhaften Erscheinungen unserer Ökonomie mit „Verfehlungen weniger Einzelner“ ab. Was augenblicklich passiert, darf scheinbar alles sein, bloß keine echte Krise des Systems. Und wenn es doch ans Eingemachte geht, wenn irgendetwas an unserem so schön gepflegten Mythos Kapitalismus nicht mehr oder so nicht funktioniert? Ist schon das Nachdenken darüber, dass der Fehler und die Ursache der gegenwärtigen Probleme im System stecken und im Kern bereits angelegt sein könnte, nicht korrekt, unerwünscht? Viele, die in Politik, Forschung und Wirtschaft das Sagen hatten, haben unser Wirtschaftssystem mit Regellosigkeit verwechselt, haben das Recht des Stärkeren als oberstes Gesetz und conditio sine qua non propagiert, huldigten spätestens seit dem Untergang des sozialistisch/kommunistisch osteuropäischen Blocks einer vermeintlich überlegenen Ellbogengesellschaft. Grenzenloser Geiz war geil, Hedonismus in und sofortiger, maßloser Konsum war Menschenrecht. Keine Kontrolle über die eigenen Daten mehr, drohende Klimakatastrophe, Rentenfinanzierungsprobleme, kollabierende Geldmärkte, Finanzierungsprobleme der sogenannten Realwirtschaft (Finanzwirtschaft = irreal?): Wen kümmert’s? Wir tanzen um das Goldene Kalb, das da heißt Kapitalismus – oder ist es eher ein Totentanz? Das System funktioniert, weil es nicht versagen darf. Das Menetekel steht an der Wand, aber wir wollen es gar nicht entziffern. Die Verdrängungsmechanismen funktionieren immer noch perfekt. Ein Beispiel? Auf strukturelle Probleme der DIY-Branche haben wir seit Jahren hingewiesen, die Resonanz war gering. So könnten doch die jetzigen Entwicklungen Grund genug dafür sein, endlich einmal ehrlich über unsere Fundamente zu diskutieren. Doch was passiert? Wie oft habe ich in den vergangenen Woche gehört, dass die Krise für Baumärkte auch eine Chance sein könnte, denn wenn die Konsumenten keine größeren Ausgaben tätigen würden, würde das dem Do-it-yourself nur nützen. Gratulation, ganz, ganz toll! Da wird schon als Positivum verbucht, wofür die DIY-Branche selbst überhaupt nichts kann. Anstatt an sich selbst zu arbeiten, wird wieder nur reagiert, wird kurzfristig gedacht. Wenn man die Branche nicht so sehr mögen würde, man könnte an ihr auch verzweifeln.
Ihr
Dr. Joachim Bengelsdorf
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