Es ist Herbst, der Winter naht. Zeit für ein Fazit, Raum für ein Resümee. Das gilt für die Bau- und Heimwerkerbranche im Allgemeinen, aber auch im Besonderen: für einzelne Baumarktbetreiber, für spezielle Lieferanten, für Personen, die Verantwortung tragen. Ein Großteil des jährlichen Baumarktgeschäftes ist gelaufen, da darf man schon einmal den Gang etwas rausnehmen. Doch noch etwas naht in jedem Spätherbst, wenn sich der erste Raureif auf die Wiesen legt. Und es oder vielmehr er naht nicht etwa allein, sondern gleich in mannigfacher Ausprägung: der Lieferantenpreis! Es ist die hohe Zeit der Ehrungen derer, die man zuvor auf Handelsseite in Strategie- und Rollenspielen als - bestenfalls - "Gegner" bzw. - normalerweise - als "Feind" bezeichnet hat. Als Journalist, der oft genug bei einer Lieferantenehrung anwesend ist, staunt man dann nicht schlecht, wie die Hersteller, über die der Einkäufer oder Category Manager des Baumarktbetreibers XY kurz zuvor noch - streng vertraulich und unter vier Augen natürlich - sehr kritisch geredet hat, jetzt plötzlich fast überschwänglich auf dem Podium gelobt werden. Man reibt sich verwundert die Augen: War da was? Es kommt einem vor, als habe man beim Text im Schreibprogramm jedes auftauchende Wort "Gegner" automatisch einfach durch "Partner" ersetzt, "WKZ" durch "Zuverlässigkeit", "Kopfkonditionen" durch "innovative Produkte". Und schwubs - schon haben wir uns einen neuen Freund gebastelt. Öffentlich und mindestens für diesen einen Abend, an dem die Ehrung stattfindet. Dabei: Im Saal weiß es ja jeder besser. Und das Erstaunlichste: Die Geehrten spielen alle brav mit. Man freut sich unbändig, ist vollkommen überrascht, verspricht ewig währende Treue und Partnerschaft und den Preis in Ehren zu halten. Und man selber, der Beobachter? Der ach so kritische Journalist ertappt sich dabei, wie er seine Hände hebt und Beifall klatscht. Aber nicht zu heftig, und man ist es sich zumindest schuldig, gleichzeitig eine leicht hämische Bemerkung zu seinem Tischnachbarn zu machen. Ach, wie sehr hilft uns unser journalistischer Zynismus, den wir allzu gerne als "professionelle Distanz" popanzartig vor uns hertragen, uns überlegen zu fühlen. Gleichzeitig hoffen wir aber, dass das ausgezeichnete Unternehmen gerade wegen der Ehrung bei uns Anzeigen schaltet. Das sind dann Situationen, da schäme ich mich für mich selbst. Aber auch ich mache, schwimme und züngle weiter mit.
Dr. Joachim Bengelsdorf
Dr. Joachim Bengelsdorf